Franz Rupperts Identitätsorientierte Psychotraumatherapie

Franz Rupperts Identitätsorientierte Psychotraumatherapie

Franz Rupperts Identitätsorientierte Psychotraumatherapie – 

Ein außergewöhnlicher Beitrag zur zeitgenössischen Traumaarbeit

Johan Van Eeckhout - www.insig-praxis.de

Vor ungefähr acht Jahren lernte ich die Arbeit des deutschen Psychotraumatologen Franz Ruppert kennen, dank der Übersetzungen ins Niederländische, die Margriet Wentink und Wim Wassink seit 2008 erstellt haben. Mit einem Fuß noch in der systemischen Hellinger-Tradition schrieb Franz Ruppert „Die Wahrheit heilt den Wahn“, in dem er die kühne Behauptung verteidigte, dass die scheinbar bedeutungslosen Symptome etwa von Psychosen und Schizophrenie in einer Mehrgenerationenperspektive ihre volle Bedeutung wiedererlangen. Durch die Bindungsbeziehung werden gespaltene Erlebnisinhalte weitergegeben und diese Fragmente belasten die zweite oder dritte Generation als Stimmen, visuelle Halluzinationen und andere psychopathologische Symptome. In aufeinanderfolgenden Büchern leistet Franz Ruppert bis heute provokative und innovative Beiträge zur Traumatheorie und zu Methoden der Traumaverarbeitung.

An der Basis: Aufstellungsarbeit nach Hellinger

Die aktuelle therapeutische Arbeit von Franz Ruppert wird gemeinhin als „Aufstellung der Anliege“ bezeichnet. Die zugrunde liegende Traumatheorie heißt Identitätsorientierte Psychotraumatherapie oder IoPT. Was das alles genau bedeutet, wird erst deutlich, wenn man die Entwicklung der Methode und der Theorie im Laufe der Zeit studiert. Diese Entwicklung umfasst etwa 25 Jahre Wechselwirkung zwischen einer speziellen Methode und der dazugehörigen Theoriebildung. Gerade dieses Zusammenspiel macht Rupperts Arbeit einzigartig und unvergleichbar mit anderen, mehr oder weniger akademischen Therapieansätzen. Dieser Verschränkung von Theorie und Praxis versuche ich in diesem Artikel so weit wie möglich gerecht zu werden.

Die identitätsorientierte Psychotraumatherapie findet ihre Wurzeln in der systemischen Aufstellungsarbeit von Bert Hellinger. Dabei wird therapeutisch mit einer Gruppe gearbeitet, deren Mitglieder Personen aus dem Familiensystem eines Fragestellers repräsentieren. Vertretern wird ein Platz im Raum zugewiesen, sie haben jedoch wenig oder keine Informationen über die Person (oder den Fall/das Konzept), die sie vertreten. Repräsentation ist daher kein Rollenspiel: Es gibt kein Drehbuch und der Repräsentant ist völlig frei, seiner eigenen Erfahrung zu folgen und sie auszudrücken. Werden mehrere solcher Stellvertreter in einem Raum aufgestellt, spricht man von einer Familienaufstellung. Obwohl Vertreter wenig oder gar keine Informationen darüber haben, wen und was sie vertreten, scheinen sie in der Praxis Dinge auszudrücken, die für den Fragesteller sehr auffallend und erkennbar sind. Systemische Traditionen gehen davon aus, dass eine solche Aufstellung Zugang zu einem ansonsten unzugänglichen Informationsfeld bietet. Insbesondere Rupperts eigene therapeutische Arbeit würde von dieser Hypothese eines „wissenden Feldes“ wegführen.

Aufstellungen mal anders gesehen - Franz Ruppert

Franz Ruppert (°1957) kam Mitte der 1990er Jahre mit Hellingers Werk in Kontakt und wurde davon nachhaltig beeinflusst. Dennoch lässt Ruppert im Umgang mit der Aufstellungsmethode von Anfang an viel Freiheit. Er ist ein begnadeter Beobachter und durch die Verbindung dieser genauen Beobachtung von Aufstellungen mit seinem Wissen über Trauma und Bindung (ua durch die Arbeit von Arno Gruen) entwickelt er nach und nach eine ganz andere Vision von der Wirksamkeit von Aufstellungen. Was, wenn eine Konstellation keine Information liefert, weil sie das Wissen eines „Wissensfeldes“ offenbart, sondern einfach, weil ihre Repräsentanten beim Fragenden in Resonanz treten? Die Repräsentanten schwingen sozusagen zu den bewussten und unbewussten intrapsychischen Bildern und Inhalten des Fragestellers, der ihnen einen Platz im Raum zuweist. Limbische Gehirnresonanz ist ein Begriff, der von Thomas Lewis, Fari Amini und Richard Lennon (University of California) verwendet wird, um die nonverbale, emotionale Verbindung zu beschreiben, die sich zwischen Menschen entwickeln kann: insbesondere in der Bindung zwischen Mutter und Kind, aber beispielsweise auch zwischen Partner. Ein Fragesteller wählt in dieser Aussage einen Stellvertreter, weil er – meist unbewusst – mit dem Thema, das den Klienten beschäftigt, in Resonanz steht, so wie wir uns bei unserer Partnerwahl und anderen Beziehungen unbewusst von Elementen (positiver oder negativer) unbewusster Anerkennung leiten lassen. Im Gegensatz zu unseren alltäglichen Partnerbeziehungen ist im Rahmen einer Aufstellung für den Fragesteller klar, dass er sichselbst in den Stellvertretern gespiegelt sieht.

Basierend auf dieser Hypothese bietet eine Aufstellung – daher auch Selbstbegegnung genannt – einen einzigartigen Einblick in die intrapsychische Realität eines Menschen: Sie wird zu einem echten Studienfeld. Es ist Rupperts Verdienst, dass er dieses Laboratorium der menschlichen Psyche genau beobachtete und es zum Prüfstein für seine Traumaheorie machte. In sukzessiven Schritten distanzierte sich Ruppert von der systemischen Hellinger-Arbeit und den damit verbundenen metaphysischen Annahmen: Er distanzierte sich von schwierigen und vagen Begriffen wie "Seele" und "Wissensfeld" ... und begann, ein theoretisches Framework aufzubauen, die hauptsächlich auf Erkenntnissen aus Trauma- und Bindungstheorien basiert und aufgrund von Beobachtungen der therapeutischen Arbeit kontinuierlich gepflegt und angepasst wird. Dabei wurde der Abstand zur systemischen Arbeit immer größer. Laut Ruppert tragen wichtige rituelle Handlungen (wie das Verbeugen vor den Eltern) nicht zur Trauma-Aufarbeitung bei und verstärken sogar die Spaltung.

Das Traumamodell von Franz Ruppert

Auf der Grundlage bestehender Traumamodelle, der Bindungstheorie und sorgfältiger Beobachtung entwickelte Franz Ruppert sein eigenes Traumamodell. Trauma beginnt dort, wo die Kampf-und-Flucht-Reaktion nicht mehr helfen kann. Ruppert betont diese Unterscheidung stärker als andere Traumatheoretiker, die manchmal von einer Art Kontinuum zwischen Stress und Trauma auszugehen scheinen. Gerade weil jede Handlungsmöglichkeit ausgeschlossen ist, verlagert sich das Handlungsfeld in die Psyche selbst: Die Handlung schlägt nach innen. Dort bewirkt das Trauma eine Dreiteilung.

Der Traumateil beherbergt das Traumaerlebnis selbst: die überwältigenden Gefühle, aber auch andere Erlebnisfragmente, die dazu gehörten (Kognitionen, Bilder, Gerüche, Empfindungen, Geräusche...) Diese Inhalte werden abgespalten und „eingefroren“.
Der Überlebensteil ist der Teil, der das Überleben in der Traumasituation garantiert: Schweigen, sich auf den Täter einstellen, Dissoziation (nicht fühlen), zwanghafte Aktivität... Nach der Traumasituation wirkt der Überlebensteil weiterhin als Puffer zur Vorbeugung Kontakt zwischen Bewusstsein und dem Traumaanteil unbedingt zu vermeiden: Festhalten an dem, was einst lebensrettend war. Hier entstehen Tics, ausgeprägte Verhaltens- und Beziehungsmuster (Suchtverhalten, Täter-Opfer-Dynamik) und sogar Persönlichkeitsmerkmale. Die Mission der Überlebenden ist es, das Trauma zu leugnen, zu minimieren und zu leugnen.
Es gibt immer einen gesunden Teil – auch bei Langzeit- und Schwertraumatisierten: einen Teil, der die Realität klar wahrnimmt, der die Spaltung heilen will, der die Wahrheit des Traumas erkennen will. Dieser Teil beherbergt die Autonomie und die gesunde Ich-Erfahrung.

Der Zweck jeder soliden Traumatherapie ist es, dem Traumateil zu begegnen, den Überlebensteil aufzudecken und den gesunden Teil zu entwickeln. Im Gegensatz zu anderen Traumamodellen liefert Ruppert keine Verhaltensbestimmung dieser Anteile: Angst kann beispielsweise ein Gefühl aus einem Trauma Anteil sein, aber auch eine Überlebensstrategie (Vermeidung) oder ein gesundes Gefühl im Hinblick auf eine potenziell bedrohliche Situation . Entscheidend ist nicht das Verhalten oder der Inhalt, sondern die Funktion: Gefühle und Verhaltensweisen, die die Spaltung aufrechterhalten und uns von einer Begegnung mit dem Trauma fernhalten, sind Überlebensanteile. Damit kann die Theorie auch scheinbar normale Verhaltensweisen und Muster (z. B. Rationalisierung) sinnvoll mit Traumata in Verbindung bringen. Es bedeutet auch, dass bestimmte Stabilisierungstechniken (z. B. Atemtechniken oder das Aufrufen externer Ressourcen) nicht missbräuchlich eingesetzt werden, da auch diese Techniken die Auseinandersetzung mit Traumainhalten unnötig behindern können.

Diese einfache dreiteilige Struktur bildet die Grundlage der traumatisierten Persönlichkeit. Bei frühen, vielgestaltigen und andauernden Traumatisierungen wirken verschiedene Dreiteilungen zusammen und verstärken oder hemmen sich gegenseitig. Die komplexe Dynamik des Traumas wird jedoch erst richtig deutlich, wenn wir die generationenübergreifende Weitergabe von Traumata in der Bindungsbeziehung betrachten.

Trauma von Generation zu Generation

Die besondere Stärke von Hellingers Familienaufstellungen lag darin, dass sie einen Einblick in den Familienzusammenhang über mehrere Generationen hinweg ermöglichten. Wie ist diese Besonderheit zu erklären, wenn wir die therapeutische Wirkung von Aufstellungen nicht einem metaphysischen „Feld“ zuordnen, das von „Seelen“ toter und lebender Verwandter kontrolliert wird, sondern als Ergebnis zwischenmenschlicher Reflexion und Resonanz betrachten?

In der Bindungsbeziehung zwischen Mutter und Kind werden laut Franz Ruppert die unverarbeiteten Erfahrungsinhalte früherer Generationen weitergegeben. Das Kind spiegelt sich der Mutter und je nachdem, welchen Teil der Persönlichkeit sie ihm entgegensetzen kann, lernt es eine andere Lektion. Vom gesunden Anteil aus kann die Mutter die Gefühlswelt des Kindes spiegeln, ohne selbst darauf einzugehen. Das Kind lernt, dass Gefühle kommen und gehen und dass sie reguliert werden können. Ab dem Überlebensanteil (der bei der Mutter ausgelöst wird, weil das Baby zB weint) spürt das Kind, dass es nicht reflektiert wird bzw. die Mutter emotional nicht erreicht. Es wird sich dann auf die starre Überlebensstruktur des Elternteils einstellen und verinnerlichen und beispielsweise seine eigene Trauer genauso minimieren wie der  Elternteil. Wenn eine Mutter in ihrem Trauma Anteil betroffen ist, kommt das Kind mit ihren gespaltenen Traumainhalten in Kontakt und erlebt eine Eskalation der Gefühle oder Dysregulation. In diesen beiden letzten Fällen stellt sich das Kind auf die Mutter ein (zu Lasten der Ich-Entwicklung) und es findet eine Art Copy-Paste der Traumastruktur der Mutter und ihrer spezifischen Inhalte statt.

Aber natürlich hat diese Mutter wiederum eine Geschichte der Bindung an ihre eigene Mutter, die auch ihre eigene Geschichte der Bindung und des Traumas hat. Beispielsweise verdrängt eine im Krieg vergewaltigte Großmutter (erste Generation) dieses Erlebnis und lässt die Vergangenheit ruhen. Aber als sie selbst ihre erste Tochter (zweite Generation) hat, berührt sie die Hilflosigkeit und Verletzlichkeit dieses Kindes in den gespaltenen Gefühlen (Überwältigung, Ohnmacht) der Traumasituation. Dies aktiviert dann einen dissoziativen Zustand, der die junge Tochter in Bedrängnis bringt und noch mehr auf die Persönlichkeitsstruktur ihrer Mutter einstimmt. Diese Tochter wächst auf, kämpft aber inmitten des Nachkriegsoptimismus mit Alkoholsucht und wiederkehrenden depressiven Episoden. Besonders seit der Geburt ihrer ersten Tochter (dritte Generation) werden diese Episoden plötzlich länger und heftiger. Mit sechzehn Jahren erlebt diese Tochter eine erste psychotische Episode, in der sie unter allen möglichen sexuellen Wahnvorstellungen und einem tief sitzenden Hass auf ihren Körper leidet, den niemand mehr sinnvoll einordnen kann. Es ist nur ein Beispiel dafür, wie sich unverarbeitete Traumainhalte auf spätere Generationen körperlich und psychisch auswirken können.

Eine Typologie des Traumas

Die Traumatisierung, die – auch vor der Geburt – zwischen einer Mutter und ihrem Kind stattfinden kann, nennt Franz Ruppert das Symbiosetrauma oder auch das „Trauma der Liebe“. Es ist eine häufige Form der Traumatisierung, die unsere zukünftigen Beziehungen zutiefst beeinflusst: Sie schafft Beziehungen, in denen Partner nicht ohne oder miteinander leben können, in denen sie sich anziehen und abstoßen, und in denen sie sich abwechselnd gefangen und verlassen fühlen. Vor allem gefährdet das Symbiosetrauma unsere gesunde Ich-Bildung: Wir geben den Kontakt zu uns selbst auf, um in Abstimmung mit unseren Eltern unsere Überlebensbedingungen zu sichern.

Wenn diese frühe Beziehung uns verletzt und unsere Identitätsbildung erschwert hat, werden wir besonders anfällig für alle anderen Formen der Traumatisierung. Beispielsweise verändert eine problematische Bindung zur Mutter die Qualität des Kontakts zwischen Vater und Tochter. Wenn auch der Vater schwer traumatisiert ist, kann dieser Umstand zu sexuellem Missbrauch führen. Die damit verbundene Familiendynamik (Tabu, Verschwiegenheit, Doppelmoral, Drohungen und Gewalt) kann selbst zu einer Quelle der Traumatisierung werden. Franz Ruppert spricht dann von einem Bindungssystemtrauma: Das Sozialsystem, das Schutz und Sicherheit bieten soll, wird zur Bedrohungsquelle. Auch im Schoß größerer sozialer Systeme (Nationen, Kirchen, ein Dorf, ein Sportverein, eine Partei...) können Bindungssystemtraumata entstehen und eine Decke aus Schweigen, Scham und Schuld über großflächige Traumatisierung legen, wo Täter und Opfer unter einem Dach leben.

Aber auch bei einfachen Formen der Traumatisierung bestimmt das Trauma der Liebe die (sehr unterschiedliche) Resilienz der Opfer. Ein Verlusttrauma bei einer Scheidung wirkt sich viel stärker auf weniger sicher gebundene Opfer aus, oder ein existenzielles Trauma bei einem Autounfall oder einer Naturkatastrophe schlägt so jemanden vollständig um und erzeugt eine Spirale der Verzweiflung.

Die Anliegenmethode

Ausgangspunkt der therapeutischen Arbeit nach dieser Methode ist die Intention des Klienten, die in einem Satz zum Ausdruck kommt. Dieses Anliegen fungiert als eine Art Vertrag zwischen Therapeut und Klient:

    • Das Anliegen weist inhaltlich auf das Thema hin, das den Klienten beschäftigt: „Ich möchte von meiner Wut befreit werden“. Die Wut ist etwas Konkretes, dem der Klient im täglichen Leben begegnet.
    • Das Anliegen enthält gleichzeitig einen inneren Konflikt: Der Klient will es, aber etwas in ihm hält ihn davon ab. Dieser innere Widerspruch deutet fast immer auf eine Spaltung hin.
    • Das Anliegen gibt auch an, wo der Klient steht: Er möchte frei von seiner Wut sein, er möchte sie zum Beispiel nicht ergründen oder verstehen.
    • Schließlich ist die Intention auch ein konkretes zukünftiges Arbeitsziel für den Klient.

Aus diesen Gründen mischt sich ein Therapeut niemals in die Formulierung eines Anliegens ein, auch wenn dieser Prozess äußerst mühsam ist. Die Methode nähert sich dem Fragesteller unter der Annahme von Autonomie: Nur der Klient kann die Herausforderung für sich annehmen und nur er weiß, welcher nächste Schritt für ihn sinnvoll ist. Jede korrigierende Intervention des Therapeuten würde diesen Prozess des Klienten stören.

Zunächst wählte der Fragesteller einen Stellvertreter für den gesamten Sinn des Anliegens aus, wonach er sich selbst einen Platz in Bezug auf diesen Stellvertreter einräumte. Es sei dann Sache des Therapeuten, gegebenenfalls das Anliegen zu deduplizieren und die Wahl zusätzlicher Stellvertreter zu empfehlen. Wenn zum Beispiel der Vertreter des vorherigen Anliegens als wütender Vater erkannt wird, wurde vorgeschlagen, dieses Bild zu zerlegen und einen anderen Vertreter für „Vater“ zu wählen. In den letzten Jahren hat die Methode eine wichtige Änderung erfahren und der Satz des betreffenden Anliegens selbst wird wörtlich aufgestellt. Diese Änderung bindet den Therapeuten noch stärker an die Formulierung des Klienten und bietet damit zusätzlichen Schutz vor übereifrigen Therapeuten und Retraumatisierungen des Klienten. Diese jüngsten Anpassungen stimmen mit Rupperts Ansicht über die Wirksamkeit der Aufstellungsmethode überein und machen den Bruch mit der eher systemischen Tradition noch stärker. Sie stellen mehr denn je die Autonomie des Klienten in den Mittelpunkt und erfordern vom Therapeuten angemessene Zurückhaltung – ohne auf empathische Einstimmung zu verzichten.

Neue Entwicklungen - die Macht der Worte

Wörter sind besondere Entitäten: Sie haben eine Wörterbuchbedeutung, die dafür sorgt, dass wir uns normalerweise verstehen, aber sie haben auch eine viel komplexere subjektive Bedeutung, die sich auf alle Arten von Lebenserfahrungen bezieht. Es ist dieses Reservoir an subjektiven Bedeutungen und Konnotationen, das angezapft wird, wenn ein Klient ein Wort aus seinem Anliegens aufstellt. Der Klient wählt aus, welches Wort er aufstellen möchte und wen er einlädt. Dann gibt er sich auch einen Platz in Bezug auf diesen Repräsentanten und schaut, was in dieser Interaktion passiert. Vielleicht erkennt er auch hier im Wort „Wut“ einen Aspekt seines Vaters und sieht, wie für ihn das Gefühl der Wut und die Vaterfigur zusammenhängen. Vielleicht entsteht ein Streit und er sieht, wie alte Täter-Opfer-Dynamiken noch am Werk sind. Wenn der Informationsaustausch für den Kunden zufriedenstellend war, kann er ein weiteres Wort aufstellen. Zum Beispiel wählt er jemanden für das Wort „Ich“ aus und gibt ihm auch eine Stelle, in Bezug auf das Wort „Wut“ und in Bezug auf sich selbst. Sinnvolle Informationen ergeben sich auch im Kontakt mit dem Vertreter dieses Wortes. Der Klient kann eine Vater- oder Mutterfigur (oder einen Aspekt davon)  erkennen, was auf eine starke Identifikation mit diesem Elternteil hindeuten kann. Oder das Wort „Ich“ kann sinnvolle Überlebensstrategien oder einfach nur gesunde Ich-Inhalte zeigen. Auch die Wahl eines nächsten Stellvertreters für das Wort „Wille“ weckt Assoziationen in der Interaktion mit dem Fragesteller und den anderen Stellvertretern, ebenso wie eine Rorschachzeichnung.

Der Repräsentant des Wortes „Wille“ kann zum Beispiel einen Überlebenswillen zeigen, der hartnäckig anhält, oder auch hier kann die Assoziation mit einer anderen Person entstehen, zum Beispiel der Mutter, die sich immer wieder ausgelöscht hat. Auf diese Weise entsteht ein lebendiges Gemälde, das die unbewussten Bedeutungsebenen des Anliegens freilegt und so auf erfahrbare Weise zeigt, warum dieses Anliegen (noch) nicht realisierbar ist.

Neue Methode, neue Erkenntnisse

Rupperts Theorie und Methode entwickeln sich ständig weiter: Ohne strenge methodische Anforderungen spricht die Erfahrung und die ist fließend und fehlbar. Der Übergang zur Arbeit mit den Worten des Anliegens hat daher einen großen Einfluss auf Rupperts Traumatheorie. In der Resonanz mit dem Wort „Ich“ wird deutlich, wie sich ein Trauma auf die Ich-Bildung auswirkt und was diese Entwicklung stören kann. Ausgehend von diesen Beobachtungen hat Ruppert dem Thema Identität und Ich-Entwicklung einen zentralen Platz in seinem Werk eingeräumt. Als einzigartige Person nicht anerkannt und empfangen oder gewollt zu werden, schafft ein „Identitätstrauma“: die primärste Form der Traumatisierung, die sogar dem Symbiosetrauma vorausgeht. Es zwingt uns dazu, uns selbst zu verlieren und uns mit Bezugspersonen und später mit abstrakten Konzepten, Ideologien und Herrscher zu identifizieren. In ähnlicher Weise kann man in dieser Arbeit die Beeinträchtigung der Willensfunktion durch Trauma beobachten. Konnte es sich frei entfalten? Ist es ein Überlebenswille, der hart und starr ist, oder nur sanftmütig und unterwürfig? Oder ist es ein Wille, der sich gesund bejaht und die eigenen Lebensziele anstrebt?

Die identitätsorientierte Psychotraumatherapie (IoPT) und die gesamte praktische und theoretische Arbeit von Franz Ruppert sind mit anderen Methoden und Theorien nicht zu vergleichen. Eine einzigartige und faszinierende Methode, die nicht von einer verfeinerten Theorie getrennt werden kann und darf. Wer nach methodologischer Strenge sucht, wird von einer öden Reise zurückkehren, wer aber dem Trauma auf den Grund gehen will, kommt am Werk von Franz Ruppert nicht vorbei. Schon deshalb, weil er immer wieder die Autonomie des Klientens in den Mittelpunkt rückt und seiner Arbeit eine explizit politische Dimension zuschreibt. Trauma Arbeit ist Selbstbefreiung.

 

Johan Van Eeckhout - www.insig-praxis.de

Erschienen in traaktmij 2017. Für die neuesten Entwicklungen in der Methode empfehle ich wärmstens das Buch von Franz: Ich will leben, lieben und geliebt werden (tredition 2021)

Weitere Informationen:
http://www.insig-praxis.de

Verfasser und Verantwortlich für den Inhalt:
Johan Van Eeckhout, IoPT, INSIG - Praxis für Selbstbegegnung, 79801 Hohentengen am Hochrhein
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