Arbeiten mit reaktiven Emotionen

Arbeiten mit reaktiven Emotionen

Ein Mann und seine Ehefrau möchten abends Essen gehen. Da der Mann auf seiner Arbeit viel Druck hat, bittet er seine Frau, die Reservierung zu machen. Durch dichten Verkehr kommen sie etwas zu spät und finden nicht gleich einen Parkplatz. Der Mann wird ärgerlich, doch seine Frau bleibt gelassen. Sie fährt weiter herum bis sie einen freien Platz finden. Zu diesem Zeitpunkt kocht der Mann jedoch schon innerlich. Es beginnt zu regnen und sie müssen ein kleines Stück zum Restaurant laufen. Glücklicherweise gilt ihre Reservierung noch und bald sitzen sie an ihrem Tisch. Der Mann weiß, dass er überreagiert, kann es jedoch nicht loslassen. Sie wiederum kann nicht verstehen, was sein Problem ist. So sitzen sie in eisigem Schweigen nebeneinander und essen.

 

Reaktionen basieren immer auf vergangenen Erfahrungen. Elemente einer gegenwärtigen Situation resonieren mit alten emotionalen Kernen und triggern habituierte Muster, welche sich auf der Basis vergangener Erfahrung gebildet haben. Wenn die Muster getriggert werden, geht das Gewahrsein flöten. Was wir sehen, hören, fühlen und tun wird durch die komplexen Interaktionen konditionierter Muster aus der Vergangenheit bestimmt und hat nichts mehr mit der aktuellen Situation zu tun.

 

Als der Mann seine Reaktion später reflektiert hat, konnte er zuerst identifizieren, wie gereizt er war, weil seine Frau nicht bereits im Vorfeld für eine Parkmöglichkeit gesorgt hatte oder mindestens einen Alternativplan in petto hatte. „Das hätte ich zumindest getan“. Auf die Frage, warum das Fehlen eines Planes für das Parken ihn so aufregt, antwortete er selbstgefällig, er sorge immer dafür, dass er für alle Eventualitäten immer mindestens zwei Ausweichpläne habe. Dadurch sei er als Manager so erfolgreich. Auf weiteres Bohren zeigte sich, dass er sich fundamental unsicher fühlt, wenn sich etwas seiner Kontrolle entzieht. Sein ganzes Leben basiert darauf, alle Resultate so weit als möglich zu kontrollieren.

Sein Muster der Kontrolle verhinderte vollständig, dass er wertschätzen kann, dass seine Frau ihre eigenen Methoden hat, mit Situationen umzugehen und dass sie geduldig, erfinderisch und flexibel ist. Obwohl nichts wirklich schief gegangen ist, sorgte seine Reaktion auf den Mangel von Ausweichplänen, dass er den Rest des Abends genießen konnte. Er war Opfer seiner reaktiven Muster.

Reaktive Emotionen bestimmen weitgehend, wie wir unser Leben erfahren. Hier kann uns Achtsamkeit helfen, diese reaktiven emotionalen Muster zu durchtrennen.

 

Wie funktionieren reaktive Muster? Emotionale Reaktivität ist ein Prozess, der durch einen Reiz getriggert wird, durch mehrere interne Phasen läuft und in Denken, Fühlen und Handeln seinen Ausdruck findet.

 

Nehmen wir ein Beispiel:

Du präsentierst als Teil eines Teams eine Idee für ein Projekt. Ein Mitarbeiter im Team sagt erbost: „Wenn wir diesen dummen Vorschlag annehmen, müssen wir das meiste überarbeiten.“

 

Wie reagierst du?

Eine Möglichkeit ist, dass du den Kommentar als Kränkung erlebst und entsprechend antwortest. Oder du schluckst deinen Ärger herunter und er liegt dir noch den ganzen Tag im Magen. Diesen Prozess können wir in fünf Schritte aufgliedern (diese entsprechen den fünf Skandhas in der buddhistischen Psychologie).

 

  • Du erfährst die Stimme des Mitarbeiters als Geräusch.
  • Dies wird von einem unangenehmen Gefühl begleitet.
  • Das Geräusch, der Tonfall und die Worte werden als kränkend und beleidigend interpretiert.
  • Als emotionale Reaktion taucht Wut auf.
  • Die Wut wird ausgedrückt oder unterdrückt. Da haben wir viele Möglichkeiten, wir beschränken uns hier auf zwei Grundmuster: du gibst eine beißende Antwort oder sagst nichts.
  •  

    Kultivierst du Achtsamkeit, erkennst du die Möglichkeit einer Öffnung zwischen Schritt 4 und 5: du siehst einen Unterschied zwischen der emotionalen Reaktion, hier Wut, und den Ausdruck im Handeln, hier zurück beißen oder runterschlucken. Achtsamkeit ermöglicht es uns, zwischen dem Gefühl und dem Ausdruck des Gefühls zu unterscheiden. Klingt gut, in tatsächlichen Situationen hat der reaktive Prozess bei Schritt 4 allerdings meistens schon so viel Schwung, dass es für die meisten Menschen sehr schwierig ist, diese Öffnung zu nutzen.

    Wenn wir uns weiter in Achtsamkeit üben, durchdringt diese aktive Aufmerksamkeit den reaktiven Prozess tiefer und erlaubt dir, den Übergang von Schritt 3 zu Schritt 4 zu erwischen, den Übergang zwischen Interpretation und emotionaler Reaktion. Aus dem reaktiven Prozess auszusteigen ist hier leichter, weil die Energie in dem reaktiven Prozess noch nicht so groß ist. Die Lawine hat noch nicht so viel Schwung. Wenn wir dies anwenden, entdecken wir jedoch überraschenderweise einen zweiten Prozess, der sich bis dahin vollkommen außerhalb des Gewahrseins abgespielt hat.

    Wenn du des Überganges zwischen Interpretation und emotionaler Reaktion gewahr wirst und den Prozess hier unterbrechen willst, erfährst du eine Ansammlung von Konditionierungen, die du mit der Interpretation assoziierst. Diese Konditionierungen enthalten ähnliche Erfahrungen aus der Vergangenheit und die durch die Erfahrung generierten emotionalen Reaktionen. Es fühlt sich an, als käme aus dem Nichts eine Welle und überschwemmt dich. Auch wenn die emotionalen Assoziationen nicht mit der gegenwärtigen Situation verbunden sind, wirst du in diese alten Reaktionen hinein geschleudert.

    Wenn sich deine Achtsamkeit weiter entwickelt, kannst du in zunehmenden Maße diese alten Assoziationen von der gegenwärtigen Situation unterscheiden, sie da sein lassen und nicht mehr auf sie reagieren.

    Im Falle des wütenden Kommentars deines Mitarbeiters lässt dich deine Arbeit an der Achtsamkeit erkennen, dass du aufgebracht bist. Während du die Wut aufsteigen fühlst, erkennst du, dass du aufgebracht bist, weil du interpretierst, du würdest für dumm gehalten. Du weißt jedoch auch, dass du nicht dumm bist, nur weil jemand eine Idee von dir nicht mag. Du erinnerst dich, dass dieser Mitarbeiter alle Ideen ablehnt und sich der Kommentar gar nicht direkt auf dich bezieht.

    Du fühlst die Wut immer noch.

    Wenn du achtsam mit der Wut in Kontakt bleibst, fühlst du alte Wut und Frustrationen aus Situationen, in denen du dich nicht verstanden gefühlt hast und für dumm gehalten wurdest. Du erkennst, dass das nichts mit der gegenwärtigen Situation zu tun hat.

    Setzt du deine Arbeit an der Achtsamkeit fort, kannst du den reaktiven Prozess noch früher unterbrechen. Mit jeder Sinneserfahrung geht ein Gefühlston einher, der entweder angenehm, unangenehm oder neutral ist. (Wichtig ist hier, dass das noch nicht die Bewertung ist, diese findet mir der Interpretation statt. Der Gefühlston ist nur, wie es sich anfühlt, die Bewertung kommt später) Dieser Gefühlston triggert eines der drei reaktiven Grundmuster: Anziehung, Abneigung und Indifferenz. Wenn du den Gefühlston in Achtsamkeit erfahren kannst, fällst du nicht mehr in die entsprechenden reaktiven Grundmuster. Du erfährst Freude beim Anblick einer Blume, musst sie aber nicht mehr pflücken und mitnehmen.

    Die meisten wollen die Achtsamkeit auf die letzten Phasen des reaktiven Prozesses anwenden – im Beispiel fühlen sie die Wut (wenn überhaupt) und wollen sie nicht unangemessen ausdrücken. Leider hat die emotionale Reaktion an dieser Stelle meistens schon so viel Energie, dass wir sie nicht mehr aufhalten können. Wir leben sie aus oder unterdrücken sie. Die Vorzüge von Achtsamkeit und Meditation liegen darin, dass wir diesen Prozess früher unterbrechen können.

    Hast du genug Energie in deiner Achtsamkeit, eröffnen sich in jeder Phase des Prozesses neue Handlungsoptionen.

    Gehen wir noch einmal zu dem Mitarbeiter und seinem Kommentar.

    Zwischen Schritt 4 und 5 könntest du zum Beispiel sagen: „Nur weil ich wütend bin, muss ich mich noch nicht rächen.“

    Zwischen Schritt 3 und 4: „Nur weil meine Idee abgelehnt wurde, muss ich noch nicht wütend sein.“

    Zwischen Schritt 2 und 3: „Nur weil es unangenehm klingt, muss ich es nicht als Ablehnung auffassen.“

    Schritt 1 und 2 tauchen nahezu simultan auf. An diesem Punkt können wir eine Verschiebung erfahren, die so klingt: „Nur weil das Gefühl unangenehm ist, heißt das nicht, dass ich mit Abneigung gegen es reagieren muss.“

    Wahl macht nur Sinn, wenn du dir eine Alternative vorstellen kannst. Wenn du dir keine Alternative vorstellen kannst, ist die Idee einer Wahl bedeutungslos. Wenn der reaktive Prozess abläuft, ist da kein Gewahrsein mehr, du bist nicht mehr da. Um anders Handeln zu können, brauchst du freie Aufmerksamkeit. Freie Aufmerksamkeit ist Energie, die nicht in die Gewohnheitsmuster fließt. Durch diese freie Aufmerksamkeit der Achtsamkeit siehst und erfährst du Ereignisse auf eine andere Art. Damit eröffnen sich neue Handlungsmöglichkeiten.

    Reaktive Prozesse operieren auf zwei grundlegende Weisen: ausdrücken oder unterdrücken (wie schön unsere Sprache hier ist. Beides beinhaltet Druck). Du drückst die Energie der Emotion entweder aus deinem System und in die Welt, damit du sie nicht mehr spüren musst (dafür bekommen andere sie zu spüren) oder du drückst sie aus deinem bewussten Gewahrsein. Beide Prozesse dienen dazu, die Emotion nicht zu spüren.

    Drückst du die emotionale Ladung durch Handeln aus dir heraus, müllst du damit die Welt zu und lädst sie auf andere ab. Unterdrückst du die emotionale Ladung, geht sie in den Körper und manifestiert sich dort als Verspannung, Schmerzen, Krankheit oder Kompensationsmechanismen wie Süchte.

    Achtsamkeit eröffnet dir einen dritten Weg, wie du mit emotionalen Reaktionen arbeiten kannst. Du erfährst sie achtsam, ohne sie auszudrücken oder unterdrücken. Wenn du die Emotion vollständig spürst, entlädt sich ihre Energie und wird in weitere freie Aufmerksamkeit transformiert.

    Wie kannst du die Energie der Reaktion in Achtsamkeit transformieren? Wenn die emotionale Reaktion aufsteigt, ruhe in der Erfahrung des Atmens und nehme so viel von der Erfahrung der Emotion mit in dein Gewahrsein. Hier machen wir oft einen dieser beiden Fehler:

    Wir fokussieren uns nur auf die Emotion oder nur auf den Atem.

    Fokussierst du nur auf die Emotion selbst, fließt noch mehr Energie in das Muster und du reagierst noch stärker als zuvor. Fixierst du dich auf den Atem und schließt die Emotion aus, unterdrückst du sie nur.

    Ruhe stattdessen in der Erfahrung von atmen und nimm so viel von der Emotion mit hinein dass du nicht in Wildheit und Dumpfheit fällst. Wenn du achtsam mit einem Teil der Emotion ruhen kannst, nimm mehr von ihr mit rein. Beginne dies IMMER mit der gefühlten körperlichen Erfahrung, nimm dann die emotionale Erfahrung hinzu und erst wenn du mit alledem ruhen kannst, nimm die kognitiven Reaktionen hinzu.

    Irgendwann wirst du fühlen, wie sich etwas verschiebt und du wirst fähig sein, ruhig und entspannt mit der Situation zu sein. Du wirst dich klarer und präsenter fühlen. An diesem Punkt wurde der reaktive Prozess in Achtsamkeit transformiert. Damit beginnst du, die Konditionierung, die mit den darunter liegenden Mustern verbunden ist, zu durchbrechen.

    Zum Schluss eine ernst gemeinte Warnung!

    In der Meditation und Achtsamkeitspraxis gibt es Fallen, die du unbedingt meiden solltest. Achtsamkeit erhöht das Energieniveau in deinem psychophysischen System in der Form von freier Aufmerksamkeit. Dieses höhere Maß an freier Energie bringt dich unweigerlich in Kontakt mit deinen reaktiven emotionalen Mustern. Wenn du hier selektiv wirst und versucht, einige Bereiche von deiner Achtsamkeit abzuschirmen, passiert eines von zwei Dingen: Die höhere Energie in deinem System fließt in die reaktiven Muster und verstärkt sie oder die Energie fließt in die Mechanismen der Unterdrückung und macht diese stärker. (Ironie beabsichtigt) Sowohl das Muster des emotionalen Ausdrucks als auch des Unterdrückens wird also gefestigt und gestärkt. Du spaltest dich in mehrere Teile. Einige sind fähig zu Aufmerksamkeit und Resonanz. Andere werden zunehmend rigide und unflexibel. Diese Teile übernehmen wann immer die unterdrückte Emotion getriggert wird unvorhersagbar die Kontrolle. Schlimmstenfalls drohen Psychose, Krankheit und Tod.

    Deshalb ist es absolut notwendig, eine solche innere Arbeit in Kontakt mit einem Lehrer, Therapeuten und mit anderen zu machen, mit denen du alle Aspekte deiner Übung und deines Lebens besprichst. Dieser Person oder diesen Personen musst du so weit trauen, dass du ihnen zuhörst, egal in was für einem Geisteszustand du gerade bist.

    Weitere Informationen:
    http://www.gikk-psychotherapie.de

    Verfasser und Verantwortlich für den Inhalt:
    Florian Jacobs, Heilpraktiker (Psychotherapie), GIKK-Psychotherapie (HPG), 90419 Nürnberg
    zum Anbieterprofil ».

    Florian Jacobs Heilpraktiker Psychotherapie  GIKK-Psychotherapie HPG 90419 Nürnberg Florian Jacobs, Heilpraktiker (Psychotherapie),
    GIKK-Psychotherapie (HPG), 90419 Nürnberg
    http://www.therapeutenfinder.com/therapeuten/psychotherapie-florian-jacobs-nuernberg.html

    Kommentare zu diesem Artikel

    Andrea Rauter schrieb am 14.03.17 dazu:

    Oh, sehr interessant! Habe selber die ersten ca. 180 Seiten in einer Rohfassung übersetzt. Es stimmt, es geht sehr zäh! Ken McLeod hast mir selbst erst letzte Woche bestätigt, dass sein Buch noch keine deutsche Übersetzung hat, 'because the book is too big'.

    Florian Jacobs schrieb am 13.03.17 dazu:

    Wir sind dabei, das Buch zu übersetzen, kommen jedoch nur Stück für Stück voran. Bei Interesse an bestimmten Kapiteln gerne Mail, dann schauen wir, ob den Teil schon fertig haben.

    Andrea Rauter schrieb am 10.03.17 dazu:

    Haben Sie den Rest des Buches von Ken McLeod auch übersetzt?

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