Gestalttherapie zum Kennenlernen- Mini lecture

Gestalttherapie zum Kennenlernen- Mini lecture

KLEINE GESTALTKUNDE – GESTALTTHERAPIE ZUM KENNENLERNEN - Mini lecture

Gliederung

1. Die Rolle der Wahrnehmung in der Gestalttherapie und eine Begriffsbeschreibung von Gestalt

2. Die Herkunft von Gestalttherapie

3. Figur und Grund

4. Der Kontaktzyklus und die Kontaktfunktionen

5. Der Dialog und das Gewahrsein in der Gestalttherapie

6. An der Kontaktgrenze findet die Veränderung, das Wachstum statt – Möglichkeiten der Anwendung

    von Gestalttherapie

7. Finish

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1. Die Rolle der Wahrnehmung in der Gestalttherapie und eine Begriffsbeschreibung von Gestalt

Die Wahrnehmung von dem, was gerade IST, ist ein zentraler Punkt in der Gestalttherapie. Ich nehme zum Beispiel, den Geruch, den Geschmack usw. von einem Apfel wahr und kein anderer. Meine vergangenen Erfahrungen über Obst, im Speziellen Äpfel,  fließen in das Experiment mit ein, ebenso, wie die augenblickliche Situation hier in diesem Raum, mit diesen Menschen, das umzusetzen. Und nicht zuletzt mögliche Erwartungen wie: was soll mit diesem Experiment bewiesen werden, was folgt danach, was soll ich noch zu mir nehmen, was erwartet man jetzt von mir…

In jedem Moment ihres Lebens machen Menschen Erfahrungen, erleben Impulse, die von bereits Erlebtem geprägt und gefärbt sind, die im Hier und Jetzt stattfinden und die mit dem was folgt, verbunden sind. Das betrifft nicht nur das Essen von Äpfeln, sondern alles, was Menschen umgibt. Das macht uns in der Gesamtheit als unverwechselbare Individuen aus, damit bildet der Mensch eine Ganzheit bzw. strebt nach ihr.

Diese gestaltpsychologische Grundlage findet sich in der ganzheitlichen Betrachtung des Menschen wieder, der Verbundenheit von Körper, Seele und Geist als Ganzheit, als eine Gestalt. Der Gestalt wohnt die Fähigkeit inne, sich inneren und äußeren Veränderungen kreativ anzupassen, zu wachsen und sich zu entwickeln. Sie ermöglicht mit Anderen in Kontakt zu sein, Einflüsse zuzulassen und Veränderungen zu erleben.

Beeinträchtigungen, ständiges Leiden, Störungen oder Unwohlsein können ursächlich darin liegen, dass der Kontakt zu anderen Personen, Situationen oder zu sich selbst unterbrochen ist oder unmöglich erscheint. Die Fähigkeit sich zu entscheiden, sich ganz wahrzunehmen und persönlich zu agieren und zu wachsen,  ist wie ‚verschwunden‘ oder wird vermieden. Das hat z. T. erhebliche Auswirkungen auf das tägliche Erleben, ruft Leiden hervor und beschränkt das Leben.

In der Gestalttherapie geht es darum, die abgelehnten, störenden, nicht gewollten Anteile der Gesamtheit, der Gestalt zunächst einmal wahrzunehmen, sie in einem geschützten therapeutischen Rahmen da sein zu lassen. In den Sitzungen können Sie erlebt, sanktionsfrei belebt und auch akzeptiert werden. Die Energie, die vorher in der Ablehnung gebunden war, wird wieder frei, Ressourcen und verschüttete Fähigkeiten können vom Klienten wiederentdeckt und aktiviert werden. In diesem Prozess versteht sich der Therapeut als wertschätzendes ‚lebendiges‘ Gegenüber, für all das, was der Klient ist, mit seiner Geschichte, in der Gegenwart und mit seinen Phantasien und Visionen. In der Beziehung von Klient und Therapeut, dem Kontext von DU und ICH, sind dann neue Erfahrungen für den Klienten möglich.

Im Kontakt mit dem Gegenüber (Therapeut) kann der Klient Altes / Abgelehntes auf seine                                                                                             Verwertbarkeit im Heute prüfen. Je nachdem, wird er das integrieren und assimilieren, was jetzt in seinem Leben hilfreich, relevant und unterstützend ist. Damit trifft der Klient eine Wahl für sich und wird wieder entscheidungs- und handlungsfähig. Er übernimmt Verantwortung für sich und sein Leben mit all dem, was ihn auszeichnet.

 2. Die Herkunft von Gestalttherapie

Die Gestalttherapie gehört zu den humanistischen Verfahren der Psychotherapie. Daneben gibt es noch die Behaviorale Psychotherapie (Verhaltenstherapie), die Psychodynamische Psychotherapie (Tiefenpsychologie, Psychoanalyse) und die Systemische Psychotherapie.

Die Ursprünge der Humanistischen Psychotherapie liegen in der Existenzphilosophie, für die vor allem Sören Kierkegaard (1813-1866) und Jean-Paul Sartre (1905-1980) stehen sowie von der Dialogphilosophie Martin Bubers (1978-1965).

Im psychologischen Bereich ist die Herkunft bei den humanistischen Psychologen Abraham Maslow (1908-1970) und Carl Rogers (1902-1987) zu suchen sowie bei den Gestaltpsychologen Max Wertheimer (1880- 1943)und Wolfgang Köhler (1887-1967). Außerdem fließt die Selbstregulationstheorie von Kurt Goldstein (1878-1965) ebenfalls mit ein.

Im psychotherapeutischen Bereich sind an der Entwicklung der Gestalttherapie vor allem Fritz (1883-1970)und Laura (1905-1990) Perls, Paul Goodman (1911-1972), Wilhelm Reich (1897-1957), Viktor Frankl (1905-1997), Claudio Naranjo (1932) und andere maßgeblich prägend gewesen.

In der Terminologie des Wissenschaftlichen Beirats werden 6 psychotherapeutische Methoden benannt: personenzentrierte Psychotherapie, Körperpsychotherapie, Psychodrama, Existenzanalyse, Transaktionsanalyse und die Gestalttherapie. Darüber hinaus gibt es weitere Verfahren wie das Focusing, Emotionsfokussierte Therapie usw.

Das Gemeinsame dieser Verfahren und Ansätze ist die Sicht auf das Bild vom Menschen. Sie ist geprägt von einem potentiell mündigen Menschen, als ein Subjekt, „das in seinen biopsychosozialen, ökologischen und biografischen Vernetzungen, bewusst erleben, wahlfrei und sozial verantwortlich handeln und über seine gesamte Lebensspanne hinweg seine Existenz in seinen sozialen Bezügen aktiv und kreativ gestalten kann.“[1]

In den 40er Jahren des 20. Jahrhunderts wurde die Gestalttherapie von der Psychologin Laura Perls, dem Psychiater Fritz Perls und dem Philosophen und Autor Paul Goodman in Abgrenzung zur Psychoanalyse Freuds entwickelt.[2] Die Einflüsse waren die Tiefenpsychologie, die Existenzphilosophie, die Gestaltpsychologie, das Psychodrama, körperorientierte Verfahren, spirituelle Einflüsse (Zen) und die Gruppendynamik.  1947 kamen Fritz und Laura Perls nach New York und gemeinsam mit Paul Goodman und Ralf Hefferline entstand das Buch Gestalt Therapy (1951). In den 60ziger Jahren gingen dann Fritz Perls und Paul Goodman sehr verschieden mit den gesellschaftlichen Gegebenheiten um: Goodman engagierte sich in der Protestbewegung gegen den Vietnamkrieg und baute alternative Schulen für verhaltensauffällige Kinder auf und Perls vertrat die Seite des 'human potential'. Dort ging es um eine Bewegung, in der Menschen mehr aus sich selbst heraus entwickeln sollten, um so die Gesellschaft dann zu ändern und zu beeinflussen. Fritz und Laura Perls führten durch ihre praktische Arbeit in zahlreichen Gruppen die Gestalttherapie immer weiter. Sie hielten Vorträge und zahlreiche Workshops ab, die auch in Transkriptionen oder Filme festgehalten sind. 

In den 50er Jahren wurde die Gestalttherapie durch weitere Publikationen und Veröffentlichungen vor allem in den USA bekannter, bis sie dann in den 70ern in Deutschland Einzug fand. In Deutschland (BRD) traf die Gestalttherapie auf eine Aufbruchsstimmung, die vor allem  aus der Studentenbewegung heraus, geprägt war. Demokratie, Anarchie, die Sehnsucht nach einem anderen Umgang mit Sexualität und weiblichen Selbstverständnis waren neben anderen Aspekten, Lebens-und Kampfthemen in der Gesellschaft.  Die kleinbürgerliche Enge in Deutschland wurde mit emanzipatorischen Bestrebungen in jeglicher Hinsicht konfrontiert, ja regelrecht auf den Kopf gestellt. Die Gestalttherapie mit ihren Parametern von Ich & Du (Martin Buber), der Aggression als einer treibenden Kraft, dem Anspruch eines gleichberechtigten Umgangs miteinander und der Bedeutung von Wahrnehmung und Achtsamkeit (Awareness), war bedeutsam und passend  in dieser Zeit und stellte alte Psychiatriekonzepte in Frage.  Ausbildungsinstitute wurden gegründet und seit den 80ziger Jahren findet Ausbildung in Gestalttherapie statt.  Es gibt Verbände, Vereinigungen, Gesellschaften, die Gestalttherapie umsetzen und pflegen. Gestalttherapie ist in Deutschland ist etabliert. Ein Einschnitt stellte das sogenannte Psychotherapeutengesetz von 1999 dar. Es beinhaltete u.a. die Eingrenzung kassenärztlich bezahlter Verfahren. Gestalttherapie war ab diesem Zeitpunkt keine Kassenleistung mehr.  Der Vorwurf einer unzureichenden theoretischen Fundierung ist das eine, Lobbyarbeit und der Umgang mit finanziellen Interessen kassenärztlicher Verbände das andere. In europäischen Ländern wie Österreich, der Schweiz oder Spanien wird nach wie vor Gestalttherapie genauso wie andere Verfahren kassenärztlich mit erstattet. Das ist oft ein Thema vor allem für Klienten bei der Wahl für sie geeigneter psychotherapeutischer Verfahren, aber auch für Gestalttherapeuten selbst, die entweder um eine Anerkennung durch die Krankenkassen kämpfen oder den Status der Unabhängigkeit von Geldgebern eher für sich und die Gestalttherapie als stimmig erachten.

Mittlerweile ist der Aspekt der Gestalttherapie der mit Achtsamkeit,  Gewahrseins, der eigenen Wahrnehmung zu tun hat, in der Mitte der Gesellschaft angekommen. In Yogaschulen, bei MBSR[3]- Kursen, Achtsamkeitstrainings und Meditationsseminaren ist das ein fester Bestandteil und hat nicht mehr den Akzent von Esoterik

 

3. Figur und Grund 

Der Begriff Gestalt beinhaltet wie oben erwähnt, dass jeder Organismus immer nach Geschlossenheit /Ganzheit strebt und sich selbst dabei unterstützen kann. Der Begriff self-support wird besonders von Laura Perls betont. Das heißt, wenn es in meiner Umgebung und in mir beispielsweise ein Ungleichgewicht, eine Schräglage, immer wiederkehrende alte Muster gibt, bin ich in meiner Gesamtheit als Mensch so ausgestattet, mir selbst bei der Regulierung zu helfen, um die Schräglage zu beenden.

Beispiel: Wenn Menschen süchtig nach Essen, Alkohol, Substanzen oder dem Internet sind, liegt das oft in einem Mangel an Orientierung, Zuwendung und Halt in deren Leben. Der Impuls, sich aus dieser Situation herauszubewegen, indem sich der Mensch von außen etwas zuführt, etwas nimmt und bekommt, ist ein durchaus kreativer und spiegelt wieder, dass eine heftige Schräglage  kompensiert werden muss. Die Feststellung, dass die Zuführung von Substanzen oder das Ausführen von Handlungen, nicht den Mangel an Orientierung und Zuwendung ersetzt, ist für die Menschen außerordentlich frustrierend und lässt sie sich in ihrem Selbstwert noch schlechter fühlen, was wiederum zur Fortsetzung der jeweiligen Suchtproblematik führen kann.

       An diesem Punkt des self-supports setzt Gestalttherapie an, indem die regulierenden Impulse der Person als Überlebensstrategie und Selbsthilfe vom Therapeuten als solche wahrgenommen und  wertgeschätzt werden.  Symptome, zeigen nur einen kleinen Ausschnitt. Sie knüpfen ausschließlich an dem Defizit eines Menschen an. Die Wahrnehmung und die Gefühle zu dem, was das Erleben ist, sind dann kein Thema mehr. Das Eigene rückt dadurch wenig in den Fokus. Die Kompetenz des Klienten in seiner eigenen Sache spielt in der Gestalttherapie eine zentrale Rolle. Klient und Therapeut  arbeiten an dem Gewahrsein für sich selbst, an Fragen wie: Wer bin ich, Wie bin ich, Was brauche ich, Wie muss ich sein, ….um das Gefühl für ein ICH zu entwickeln. Dieses ICH entscheidet dann selbstverantwortlich, was es für sein Leben braucht, wie auch in dem Beispiel genannt, mit mehr oder weniger Substanzen zu leben.

Die Gestalt wird zu einer Gestalt, indem sie sich ständig bewegt und in einem unaufhörlichen Prozess Figur und Grund (Hintergrund) miteinander abwechseln. Beispiele:

       Experiment: eigene Wahrnehmung im Moment, nach innen nach außen hören,

Dieser Prozess wird Gestaltbildung genannt (Figur-Grund-Prozess)[4]. „ Die psychotherapeutische Dimension ..(..)..wird sofort klar bei einem anderen Beispiel, wenn jemand etwa die 'Figur' einer verflossenen Liebe auch nicht nach einer gewissen Trauerzeit in den Hintergrund der Erfahrung gleiten zu lassen vermag und sich nicht einer neuen Liebe oder anderen wichtigen Aufgaben im Feld (z.B. Nahrungsaufnahme) zuwendet. Eine solche Behinderung des Figur-Grund-Prozesses wird 'Fixierung' genannt, der gegenüber die Fähigkeit zu flexiblen Übergängen zwischen Figur und Grund lebensnotwendig ist“.[5]

Dieser Prozess läuft in einem dauernden Kontakt mit dem Innen, mit mir, und dem Außen, der mich umgebenden Welt, ab. Das heißt, in einem Feld. In der gestalttherapeutischen Arbeit geht es darum, Figur und Grund wahrzunehmen und mit den auftretenden Gefühlen im HIER und JETZT, in einem sicheren Rahmen zu erleben, anzunehmen.  In der Gestalttherapie wird mit der Spannung von Figur und Grund gearbeitet. Die Figur bekommt ihre Bedeutung von einem Hintergrund aus der Vielzahl von Hintergründen, die sich in einem Feld befinden. Aus diesen Hintergründen kann ich auswählen und kann Einfluss nehmen. Siehe oben!

 

4. Der Kontaktzyklus und die Kontaktstörungen

Der im Kapitel 4 beschriebene Vorgang der Wahrnehmung von Figur und Grund bzw. die daraus resultierenden Möglichkeiten der Einflussnahme, finden im Detail in einem Kontaktzyklus statt. Dazu gibt es verschiedene Modelle, die jedoch in ihrem Kern das Gleiche abbilden. Nach Goodman, Perls und Hefferline setzt er sich aus

  • Vorkontakt
  • Kontaktanbahnung
  • Kontaktvollzug
  • Nachkontakt zusammen.
  • In diesem Zyklus bzw. Ablauf der Gestaltbildung, gibt es  Unterbrechungen, Störungen, die an jedem Punkt  stattfinden können. In dem Fall spricht man von den Kontaktstörungen. Dazu gehören: Konfluenz, Introjektion, Retroflektion, Projektion und Deflektion.

    Kurzbeschreibung

  • Konfluenz bedeutet so viel wie Zusammenfließen und beschreibt fehlende Kontaktgrenzen gegenüber der Umwelt. Die Wahrnehmung von ICH und DU wird negiert. „ Wer sich immer nach den Erwartungen anderer richtet, jeden Konflikt vermeidet, Harmonie und Nähe um jeden Preis herstellen will, ist 'konfluent'.“[6]
  • Introjektion ( hineinwerfen ) bedeutet 'unverdaute', nicht assimilierte Nahrung, meint im Ganzen geschluckte  Normen. Du musst aber.... Ich muss jetzt... sind typische Satzanfänge. Die Regeln werden geschluckt und nicht integriert
  • Retroflektion (zurück biegen) Die Person tut sich das an, was eigentlich auf etwas oder jemanden anderen gerichtet ist.  Beispiel: wütend sein
  • Projektion (vorwerfen, fortjagen, verschmähen) Die Person  nimmt andere / die Umwelt als nicht das wahr, was sie ist, sondern sie werden mit eigenen Interpretationen, Fantasien bedacht und überformt. Beispiel :
  • Ein Mann will ein Bild aufhängen. Den Nagel hat er, nicht aber den Hammer. Der Nachbar hat einen. Also beschließt unser Mann, hinüberzugehen und ihn auszuborgen. Doch da kommt ihm ein Zweifel: Was, wenn der Nachbar mir den Hammer nicht leihen will? Gestern schon grüßte er ihn nur so flüchtig. Vielleicht war er in Eile. Aber vielleicht war die Eile nur vorgeschützt, und er hat etwas gegen ihn. Und was? Er hat ihm nichts angetan; der bildet sich da etwas ein. Wenn jemand von ihm ein Werkzeug borgen wollte, er gäbe es ihm sofort. Und warum sein Nachbar nicht? Wie kann man einem Mitmenschen einen so einfachen Gefallen ausschlagen? Leute wie der Kerl vergiften einem das Leben. Und dann bildet der Nachbar sich noch ein, er sei auf ihn angewiesen. Bloß weil er einen Hammer hat. Jetzt reicht es ihm aber wirklich. Und so stürmt er hinüber, läutet, der Nachbar öffnet, doch noch bevor er „Guten Morgen“ sagen kann, schreit ihn unser Mann an: „Behalten Sie Ihren Hammer, Sie Rüpel!“[7]

  • Deflektion (herab biegen) dieser Begriff wurde von Erv und Miriam Polster eingeführt, vorher haben Perls, Hefferline und Goodman das Gleiche mit dem Begriff Egotismus beschrieben. Der Kontakt zur Umwelt wird durch Deflektion gestört und unterbrochen, indem sich die betreffende Person vom eigenen Bedürfnis und von der Umwelt abwendet. „ Sowohl das Subjekt mit seinen Bedürfnissen und Handlungsoptionen als auch die Umwelt mit ihren Ansprüchen und Möglichkeiten wird negiert.“[8]
  •  Beispiele:

    für Konfluenz (Ich bin eine ganz liebe Person)

    für Introjektion (hoffentlich mache ich nichts verkehrt)

    für Projektion ( wenn ich mein Projekt gemacht habe, wenn ich reich bin, wenn ich eine große Wohnung habe, dann.....)

    für Deflektion (ach, was die nur haben, das ist doch gar kein Problem, bin ja auch nicht so wichtig, keinen Stress machen, mir ist langweilig, das interessiert mich nicht)

    Retroflektion (ich möchte auch mal so laut sein, wie mein Gegenüber, aber ich beiße die Zähne zusammen)

    Der therapeutische Umgang mit Kontaktstörungen besteht darin, sie als solche wahrzunehmen und evtl. gemeinsam herauszufinden, zu welchem Zeitpunkt und wozu sie überhaupt dienten. Was findet dadurch statt oder findet nicht statt. Ursprünglich war jede Kontaktstörung eine sinnvolle Strategie, um mit Orientierungslosigkeit, zu wenig Response, Gewalt, Missbrauch, Vereinnahmung und Überforderung oft als Kind oder Jugendlicher erlebt,  umgehen zu können, sein ICH zu bewahren. Aus diesem Grund sind Kontaktstörungen auch immer funktional und wertschätzend zu betrachten. Sie waren immer auch die kreativste Lösung, die jeweils möglich war. In der weiteren Arbeit kann es darum gehen zu experimentieren, zu prüfen, auch direkt im Kontakt mit dem Therapeuten herauszufinden, ob diese jetzt störenden Muster immer noch hilfreich sind oder das Leben vehement beeinträchtigen. Die Frage ist dann, was kann an die Stelle dessen treten, wie kann ich für meine Bedürfnisse sorgen, was kann ich als Erwachsener dafür z.B. tun, welche Auseinandersetzungen sind nötig, welche Aktivitäten /Aggressionen sind hilfreich....Oft ist dieser Prozess mit heftigen Gefühlen verbunden, die sonst weggedrückt, ignoriert oder überdeckt wurden. Das Erleben dieser oft alten Gefühle im Hier und Jetzt mit dem Therapeuten als wertschätzendes Gegenüber,  lassen Raum für Heilung, sich dem ICH wieder liebevoll zuzuwenden und Anzuknüpfen an Potentiale. Eine offene Gestalt kann geschlossen werden.

     5. Der Dialog und das Gewahrsein in der Gestalttherapie

    Die therapeutische Arbeit in der Gestalttherapie ist wesentlich geprägt und bestimmt von der Begegnung zweier Menschen im HIER und JETZT.  Das setzt die Authentizität, die Wahrhaftigkeit der Begegnung voraus und bedeutet, dass der Therapeut als die Person da ist, die er ist, mit all seinen Eigenheiten und auch Fehlern in seiner Ganzheit.  Im Gegensatz zu den Theorien von S. Freud, A. Adler, W. Reich und anderen geht es dabei nicht um eine Rollenverteilung von Arzt und Patient. Da der Kontakt zwischen Menschen (Klient -Therapeut) und all dem was an der Grenze dessen möglich ist, in der Gestalttherapie im Mittelpunkt steht, kann Heilung an dieser Grenze nur durch den DIALOG geschehen. Martin Buber und seine Theorie von der Begegnung im 'Ich  und Du[9]' wurde von Gestalttheoretikern wie Gary Yonne, Erving und Miriam Polster, Frank-M. Staemmler .u.a.  aufgegriffen und in psychotherapeutischer Hinsicht bearbeitet. „ Man muss sich dabei jedoch immer wieder vor Augen halten, dass Buber keine psychotherapeutische Richtung begründen …...wollte. Heute wird Bubers Ich-Du …...meist unpolitisch als 'menschliche Haltung' gekennzeichnet – eine Haltung bezogen auf ein persönliches Gegenüber, dem ich als gleichwertig 'begegne', und das ich nicht verdinglicht 'behandle' (Ich-Es).“[10]  

    In der Therapie arbeiten wir immer auch als Teil einer Gesellschaft, die beurteilt, was krank oder gesund, was normal oder nicht normal ist. Psychische und emotionale Leiden erfahren Heilung nicht in der Wertung, sondern indem sich Klient und Therapeut als gleichwertige Partner gegenüber stehen „... und wenn sie sich seelisch berühren.“[11]

     

    Awareness / Gewahrsein in der Gestalttherapie bedeutet das sich Bewusstmachen, Spüren, Merken  der eigenen Wahrnehmung. Insofern ist Gewahrsein eine Situation, in der wir unsere Aufmerksamkeit darauf richten, was wir spüren, wie:  Aha, das ist jetzt schnell, langsam, so wie immer, ...usw. Das Wahrnehmen wird von der Aufmerksamkeit auf das, was ich gerade spüre begleitet. Dieser Prozess ist außerordentlich wichtig, weil er deutlich macht, was ICH und kein anderer  fühlt und spürt. Meint, ich spüre, was ich spüre, das ist das, was gerade bei mir ist. Wenn dergestalt das Gewahrsein erhöht wird, kann der Klient erfahren und unterscheiden lernen zwischen dem, was er spürt und dem was er denkt, was er spüren soll oder was andere spüren werden (Projektion). Das ist hilfreich und unterstützend für den Klienten, da er erfährt, dass es Wahlmöglichkeiten zum Handeln gibt, für die er sich selbst entscheiden kann.

     

    Gewahrsein ist immer auch eingebunden in den Figur-Grund-Prozess. Die Awareness ist unaufhörlich in Bewegung und kann ebenso auf ganz unterschiedliche Aspekte gerichtet werden. (Beispiel: 4 Leute sehen den gleichen Film, jedem ist etwas anderes wichtig). Es geht ebenso wenig darum, alles wahrzunehmen.

    6. An der Kontaktgrenze findet die Veränderung, das Wachstum statt – Möglichkeiten der Anwendung von Gestalttherapie

    Die Grenze, die Menschen direkt umgibt, ist die Hautoberfläche. An der Haut, mit den Organen der Sinneswahrnehmung und mit motorischen / körperlichen Reaktionen findet etwas statt, das an der Grenze zwischen Umwelt und mir (meinem Organismus) entsteht. An dieser Grenze mache ich Erfahrungen von z.B. einfachem Dasitzen, nicht nur warum ich dasitze und wo ich dasitze, sondern auch wie ich dasitze. Ich spüre meine Körperhaltung, Temperatur, Muskeln und Bänder, Untergründe u.v.m. Das bildet die „einfachste und erste Realität“[12]. Ich spüre etwas an mir, das mit der Umwelt zu tun hat.

    Selbstredend findet an dieser Grenze ständig eine Interaktion statt. Sie ist nie losgelöst, sondern sie gibt es innerhalb des sogenannten Organismus- Umwelt -Feld. Die Kontaktgrenze als Ort der Erfahrung ist keine Trennungslinie zwischen Organismus und Umwelt, sondern bedeutet Begrenzung, Umfang und Schutz des Organismus, indem sie zugleich die Umwelt berührt.[13]

    Die gestalttherapeutische Arbeit beinhaltet die Arbeit an dieser Kontaktgrenze. Voraussetzung ist das Wahrnehmen derselben und dessen, was der Klient an dieser Stelle erlebt, tut und fühlt. Im Kontakt mit dem Therapeuten können alte Erfahrungen verdeutlicht und neue ausprobiert werden. Man kann auch sagen, dass es nicht darum geht, den Klienten zu verändern, sondern ihn dabei zu unterstützen, neue Erfahrungen an dieser Kontaktgrenze zu machen. Mit welchen er dann umgeht, bleibt in seiner Entscheidung. Der Therapeut bietet einen geschützten Raum, in dem Experimente, die Arbeit mit dem Stuhl möglich sind, um wie erwähnt neue Erfahrungen zu ermöglichen.

    Gestalttherapie ist in ihren Anwendungsgebieten sehr weit gefächert. Überall dort, wo das WIE  einer Situation hinterfragt werden soll, ist Gestalttherapie, Gestaltberatung und Coaching sowie Gestaltpädagogik angebracht und hilfreich.  In der Arbeit mit Menschen mit geistiger Behinderung, mit chronisch kranken Menschen, bei psychosomatischen Beschwerden, in der Behandlung von Suchtproblematiken, Depressionen, Traumata …. wird gestalttherapeutisch gearbeitet.

    Gestalttherapie betrachtet den Menschen als schöpferisches und eigenständig handelndes Gegenüber. Die Wertschätzung für das was da ist, bedeutet im Dialog zu sein, sowohl mit dem Menschen, als auch mit sich selbst.  So ist Kontakt an der Grenze möglich und eröffnet andere und neue Erfahrungen.

    In dem Zusammenhang seien auch die Experimente, das Einbeziehen des Körpers, kreativer Medien und von Träumen erwähnt. Die Stuhlarbeit ist sehr 'gestalttypisch' und ist hilfreich, um verschiedene Anteile in einem zum Sprechen zu bringen. Das was sich oft in einem  Menschen bewegt, kann so herausbewegt und bearbeitet werden. Dabei wechselt der Klient die Stühle und kommt mit den verschiedenen Perspektiven und den Gefühlen dazu in Kontakt. Da das alles Teile von ihm selbst sind, oft Introjekte, aber auch Projektionen, kann das in einem lebendigen Dialog erfahren werden. Diese Intervention berührt meist die Kontaktgrenze und ermöglicht so eine neue Erfahrung.

     

    7. Finish

    Gestalttherapie hat immer mit Wachstum zu tun, nicht nur bei dem Klienten, sondern auch beim Therapeuten. Laura Perls schrieb: „Ein Gestalttherapeut verwendet keine Techniken; er verwendet sich selbst in einer und für eine Situation mit den professionellen Fähigkeiten und mit seiner Lebenserfahrung, die er gesammelt und integriert hat. Es gibt so viele therapeutische Stile, wie es Therapeuten und Klienten gibt, die sich selbst und einander entdecken und die gemeinsam eine Beziehung erfinden.“[14]

    Die Bereitschaft sich emotional berühren zu lassen und als lebendiges Gegenüber da zu sein, an der Kontaktgrenze den Klienten zu begleiten und zu unterstützen, ist von dem begleitet, was Fritz Perls sagte: Lernen ist die Entdeckung, dass etwas möglich ist.

     

    Dr. phil. Silke Wolf                                      Gestalttherapeutin nach dem Heilpraktikergesetz

    Berlin, den 10.2.2017

     

     

     

     

     

     

     

     

     

     

     

     

     

     


    [1]    Eberwein, Werner: Humanistische Psychotherapie. Psychosozialverlag 2014. 18

    [2]    Siehe Anhang aus: Blankertz, St. / Doubrawa, E. : Lexikon der Gestalttherapie. Peter Hammer Verlag 2005. 120

    [3]    Mindful Based Stress Reduction nach Jon Kabat-Zinn

    [4]    Blankertz, St. / Doubrawa, E. : Lexikon der Gestalttherapie. Peter Hammer Verlag 2005. 71

    [5]    Ebd. 71 f

    [6]    Ebd. 175

    [7]    Vgl. Watzlawick, Paul: Anleitung zum Unglücklichsein. Verlag Piper 1983

    [8]    Blankertz, St. / Doubrawa, E. : Lexikon der Gestalttherapie. Peter Hammer Verlag 2005. 52

    [9]    Vgl. Buber, Martin: Ich und Du. Reclam Stuttgart 2008

    [10]  Blankertz, St. / Doubrawa, E. : Lexikon der Gestalttherapie. Peter Hammer Verlag 2005. 41f

    [11]  Ebd.44

    [12]  Perls, Hefferline, Goodman: Gestalttherapie – Grundlagen. München 1997, 9

    [13]  Ebd. 11

    [14]  Perls, Laura: Leben an der Grenze. Köln 1989, 99f

    Weitere Informationen:
    https://www.silke-wolf-gestalttherapie.de/fileadmin/user_upload/KLEINE_GESTALTKUNDE_2-17.pdf

    Verfasser und Verantwortlich für den Inhalt:
    Dr. phil., Silke Wolf, Gestalttherapeutin (Psychotherapie nach dem Heilpraktikergesetz), Gestalttherapie und Körperpsychotherapie in Prenzlauer Berg und Leipzig, 10437 Berlin
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    Dr phil Silke Wolf Gestalttherapeutin Psychotherapie nach dem Heilpraktikergesetz  Gestalttherapie und Körperpsychotherapie in Prenzlauer Berg und Leipzig 10437 Berlin Dr. phil., Silke Wolf, Gestalttherapeutin (Psychotherapie nach dem Heilpraktikergesetz),
    Gestalttherapie und Körperpsychotherapie in Prenzlauer Berg und Leipzig, 10437 Berlin
    http://www.therapeutenfinder.com/therapeuten/gestalttherapie-berlin-silke-wolf.html

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